Donnerstag, 26. Oktober 2006

wachküssen

Die Dornröschen, die glaubten, in einem Land zu leben, das die Geschlechterkämpfe lange hinter sich gelassen hatte, erwachen. Anders als ihre Märchenschwester werden sie jedoch nicht vom edlen Prinzen wach geküsst. Sondern vom Kollegen, der ihnen bei der Betriebsfeier vor versammelter Mannschaft ins Gesicht lallt: "Ich will dich demütigen!" - und vom Chef, der diesen Laller, obwohl er sich am Ende seiner Probezeit befand, eine Woche später anstandslos fest anstellt. Sie werden wach geküsst vom Feuilletonisten, der ihnen nicht mehr die freie Entscheidung für oder gegen Nachwuchs überlassen will, sondern nur noch die Wahl, ob sie ihr Mutterkreuz bei zwei, drei oder mehr Kindern machen. Good bye, Matrix. Willkommen in der Wirklichkeit.
Nun besteht jedoch die Gefahr, dass das feministische Gejammer: "Die Männer geben uns keine Chance", sein Echo findet im postfeministischen Katzenjammer. "Haben wir Frauen die Emanzipation verspielt?" - fragt die Journalistin Heike Faller, Jahrgang 1971, im April 2006 in einem so betitelten Essay. Nein. Noch ist nichts verspielt. Die nach 1960 geborenen Frauen sind jung und qualifiziert genug, Emanzipation auf einem neuen Niveau durchzusetzen. Allerdings wird ihnen dies nur gelingen, wenn sie ein paar lieb gewordene Illusionen aufgeben und ein paar grundlegende Einsichten akzeptieren: Für eine Frau, die den Anspruch hat, aus ihrem Leben "etwas zu machen", gibt es keine Alternative dazu, die Verantwortung für ihr Leben konsequent selbst zu übernehmen.
Das Hoffen auf den netten Ehemann, in dessen Windschatten sich alles fügt, ist so trügerisch wie feige. Schon Aristoteles wusste: "Wer Sicherheit der Freiheit vorzieht, ist zu Recht ein Sklave." Nichts ist befriedigender, als eine große Herausforderung gemeistert zu haben - und an einer echten Herausforderung zu scheitern, garantiert immer noch mehr Würde, als das putzige Heimchen zu sein, das sein Haus wieder so schön mit Blumen geschmückt hat. Frauen müssen endlich damit aufhören, anderen Frauen einzureden, sie hätten zu dicke Oberschenkel - anstatt sie zu ermutigen, den Beruf oder den Partner zu wechseln, falls diese sie bei Lichte besehen nur unglücklich machen. Es ist nicht "peinlich", Sexismen als das zu bezeichnen, was sie sind: Sexismen. Sich für die Emanzipation zu engagieren, ist kein stilistischer Fauxpas wie die Karottenhose in den 80ern. Wenn Frauen dies beherzigen und ihre Kinder in diesem Sinne erziehen, ist wahrlich nichts verspielt. Der Feminismus ist tot. Es lebe der F-Klassenkampf!
Raus aus den Kinderzimmern!
Der zuverlässigste, wenn nicht gar einzige Weg zu einem glücklichen Leben liegt darin, einer Tätigkeit, die man für wert- und sinnvoll hält, mit Leidenschaft nachzugehen. Und nur bei Frauen, die sich auf diesem Weg befinden und auf diesem Weg bleiben wollen, bekomme ich keine Gänsehaut, wenn sie mir erzählen, dass sie schwanger sind. Ebenso wenig wie sich das existentielle Loch mit einem immer noch schickeren Fummel verhüllen lässt, lässt es sich mit einem Kind stopfen. Selbstverständlich gibt es einem weiblichen Leben auch Sinn, Mutter zu sein. Frauen aber, die bereits so weit "anemanzipiert" sind, dass sie ein Lebensziel für sich wollen, steuern samt Kind auf eine Katastrophe zu, wenn sie Mutter werden, weil sie kein befriedigendes anderes Lebensziel für sich gefunden oder das bisherige nicht erreicht haben. Dann nämlich wird das arme Kind im günstigsten Fall zum narzisstischen Projekt, das im Mutterbauch Japanisch lernen und mit drei an der Geige brillieren muss.
Im ungünstigsten Fall wird es zum Accessoire der Mutter, die ihr Kind so hip zu tragen weiß wie die neusten Glacélederhandschuhe von Gucci. Wenn sich die Mode im nächsten Winter ändert - Pech gehabt. So wie ein Kind nicht in jedem Fall Sinnstiftung bedeutet, lernt keine Frau automatisch dadurch, dass sie Mutter ist, Verantwortung zu übernehmen. Die Mütter, die ihre Neugeborenen in Tiefkühltruhen entsorgen und ihre Kleinkinder in abgedunkelten Kammern verhungern lassen, widerlegen diese biologistisch-konservative Hoffnung aufs Brutalste. Allem Anschein nach haben die Partygirls der "Generation Golf" eine zu gute Kinderstube, um derlei Grausamkeiten zu begehen. Sie begnügen sich damit, ihre Sprösslinge im Mutterleib mitkiffen oder -koksen zu lassen. Aber echt nur ein bisschen! Versteht sich. Es ist fatal, wenn Frauen, die nicht einmal mit Mitte dreißig den Weg aus dem eignen Kinderzimmer herausgefunden haben, anfangen, vom nächsten rosa Kinderzimmer zu träumen. […]
Die Hoffnung einer Frau, durch Mutterschaft erwachsen zu werden, ist irrig. Die Hoffnung des Mannes, endlich im Leben anzukommen, indem er ein Kind zeugt, ist absurd. Noch keiner hat allein dadurch, dass er seinen Samen in einer Frau abgeladen hat, gelernt, Verantwortung zu übernehmen. […] Und wenn dieser relativ überschaubare biologische Akt des Sperma-Abladens den Herren im Vergleich zum langwierigen und komplizierten Prozess der Schwangerschaft und Geburt zu bescheiden erscheint, als dass sie sich darauf etwas einbilden könnten - dann dürfen sie ihr Selbstbewusstsein liebend gern daraus beziehen, dass sie Zeitungsartikel schreiben oder Rasenmäher erfinden. Aber sie sollen bitte nie wieder erzählen, es sei "unfair", wenn Frauen diese Dinge auch tun, wo sie doch schon die supertolle Gabe des Gebären-Könnens besitzen. Noch einmal zum Mitschreiben: Frauen gebären. Männer zeugen. Alles andere können beide Geschlechter.


aus: Thea Dorn, "Die neue F-Klasse"

2 Kommentare:

Klabauter hat gesagt…

Der zuverlässigste, wenn nicht gar einzige Weg zu einem glücklichen Leben liegt darin, einer Tätigkeit, die man für wert- und sinnvoll hält, mit Leidenschaft nachzugehen.

Wie wenigen Menschen ist das vergönnt?

Ich glaub, ich will sie nicht lesen. Sie hat bestimmt recht. Aber das ist so ... irgendwie ... deprimierend.

Anonym hat gesagt…

Ein Klischee jagt das nächste, Frau Dorn.

Auch Kinderzimmer können eine "große Herausforderung" in Ihrem Sinne, so wie Sie diese verstehen, sein (um Ihre Zeilen zu "lesen", benötigt das Lexem HERAUSFORDERUNG eine sehr eingeschränkte semantische Füllung).

Emanzipation kann gerade heute bedeuten, Mutter zu sein.
Auch damit kann man aus seinem Leben "etwas machen".
Mit Leidenschaft dieser Tätigkeit nachgehen. Und nach einigen Jahren wieder einer anderen Tätigkeit mit Leidenschaft nachgehen.

Ist alles eine Frage der Perspektive.

Lilypie Fünfter Ticker